Elias Canetti – Photo gallery
A smiling Princess Christina of Sweden is seated beside Elias Canetti at the table of honour at the Nobel Banquet in the Stockholm City Hall, Sweden, on 10 December 1981.
Copyright © Svensk Reportagetjänst 1981 Photo: Ulf Blumenberg
Elias Canetti – Bibliography
| Works |
| Die Blendung : Roman . – Wien: Reichner, 1936 |
| Komödie der Eitelkeit : Drama. – München: Weismann, 1950 |
| Fritz Wotruba. – Wien: Rosenbaum, 1955 |
| Masse und Macht. – Hamburg: Claassen, 1960 |
| Welt im Kopf. – Wien: Stiasny, 1962 |
| Hochzeit : Drama. – München: Hanser, 1964 |
| Die Befristeten : Drama. – München: Hanser, 1964 |
| Dramen. – München: Hanser, 1964 |
| Aufzeichnungen 1942-1948. – München: Hanser, 1965 |
| Die Stimmen von Marrakesch : Aufzeichnungen nach einer Reise. – München: Hanser, 1967 |
| Der andere Prozeß : Kafkas Briefe an Felice. – München: Hanser, 1969 |
| Alle vergeudete Verehrung : Aufzeichnungen 1949-1960. München : Hanser, 1970 |
| Die gespaltene Zukunft : Aufsätze und Gespräche. – München: Hanser, 1972 |
| Macht und Überleben : Drei Essays. – Berlin: Literarisches Colloquium, 1972 |
| Die Provinz des Menschen : Aufzeichnungen 1942-1972. – München: Hanser, 1974 |
| Das Gewissen der Worte. – München: Hanser, 1975 |
| Der Überlebende. – Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1975 |
| Der Beruf des Dichters. – München: Hanser, 1976 |
| Die gerettete Zunge : Geschichte einer Jugend. – München: Hanser, 1977 |
| Die Fackel im Ohr : Lebensgeschichte 1921-1931. – München: Hanser, 1980 |
| Das Augenspiel : Lebensgeschichte 1931-1937. – München: Hanser, 1985 |
| Das Geheimherz der Uhr : Aufzeichnungen 1973-1985. – München: Hanser, 1987 |
| Die Fliegenpein : Aufzeichnungen. – München: Hanser, 1992 |
| Aufzeichnungen 1942-1985. – München: Hanser, 1993 |
| Nachträge aus Hampstead : Aus den Aufzeichnungen 1954-1971. – München: Hanser, 1994 |
| Aufzeichnungen 1992-1993. – München: Hanser, 1996 |
| Aufzeichnungen 1973-1984. – München: Hanser, 1999 |
| Über Tiere / mit einem Nachwort von Brigitte Kronauer. – München: Hanser, 2002 |
| Party im Blitz : die englischen Jahre / aus dem Nachlass herausgegeben von Kristian Wachinger. – München: Hanser, 2003 |
| Über den Tod / mit einem Nachwort von Thomas Macho. – München: Hanser, 2003 |
| Über die Dichter / mit einem Nachwort von Peter von Matt. – München: Hanser, 2004 |
| Aufzeichnungen für Marie-Louise / aus dem Nachlaß hrsg. und mit einem Nachw. von Jeremy Adler. – München : Hanser, 2005 |
| Briefe an Georges / Veza und Elias Canetti. – München: Hanser, 2006 |
| Translations into English |
| Auto Da Fé / translated from the German under the personal supervision of the author by C.V. Wedgwood. – London: Cape, 1946. – Published as The Tower of Babel. – New York: Knopf, 1947 |
| Crowds and Power / translated from the German by Carol Stewart. – New York, Viking Press, 1962 |
| Kafka’s Other Trial : The Letters to Felice / translated by Christopher Middleton. – New York: Schocken, 1974 |
| The Human Province / translated by Joachim Neugroschel. – New York: Seabury Press, 1978 |
| The Voices of Marrakesh : a Record of a Visit / translated from the German by J.A. Underwood. – New York : Farrar Straus Giroux.. cop. 1978 |
| The Conscience of Words / translated by Joachim Neugroschel. – New York: Seabury Press, 1979 |
| Earwitness : Fifty Characters / translated from the German by Joachim Neugroschel. – New York : Seabury Press, 1979 |
| The Tongue Set Free : Remembrance of a European Childhood / translated by Joachim Neugroschel. – New York: Continuum, 1979 |
| The Torch in My Ear / translated by Joachim Neugroschel. – New York: Farrar, Straus & Giroux, 1982 |
| Comedy of Vanity / translated by Gitta Honegger. – New York: Performing Arts Journal Publications, 1983 |
| Life-Terms / translated by Gitta Honegger. – New York: Performing Arts Journal Publications, 1983 |
| The Numbered / translated by Carol Stewart. – London: Calder & Boyars, 1984 |
| The Play of the Eyes / translated by Ralph Manheim. – New York: Farrar, Straus & Giroux, 1986 |
| The Wedding / translated by Gitta Honegger. – New York: Performing Arts Journal Publications, 1986 |
| The Secret Heart of the Clock : Notes, Aphorisms, Fragments 1973-1985 / translated by Joe Agee. – New York: Farrar, Straus & Giroux, 1989 |
| The Agony of Flies : Notes and Notations / translated by H. F. Broch de Rothermann. – New York: Farrar, Straus & Giroux, 1994 |
| Notes from Hampstead : The Writer’s Notes 1954-1971 / translated by John Hargraves. – New York: Farrar, Straus & Giroux, 1998 |
| The Memoirs of Elias Canetti. – New York: Farrar, Straus and Giroux, 1999. – Includes The Tongue Set Free, The Torch in My Ear and The Play of the Eyes |
| Party in the Blitz : the English Years / translated from the German by Michael Hofmann. – New York: New Directions, 2005 |
| Critical studies (a selection) |
| Bischoff, Alfons-M., Elias Canetti : Stationen zum Werk. – Bern: Lang, 1973 |
| Essays in honor of Elias Canetti / translated from the German by Michael Hulse. – New York: Farrar, Straus and Giroux, 1987 |
| Lawson, Richard H., Understanding Elias Canetti. – Columbia, S.C.: University of South Carolina Press, 1991 |
| Ist Wahrheit ein Meer von Grashalmen? : Zum Werk Elias Canettis / hrsg. von Joseph P. Strelka und Zsuzsa Szell. Bern: Lang, 1993 |
| Barth, Martina, Canetti versus Canetti : Identität, Macht und Masse im literarischen Werk Elias Canettis. – Frankfurt am Main: Lang, 1994 |
| Steussloff, Axel Gunther, Autorschaft und Werk Elias Canettis : Subjekt – Sprache – Identität . – Würzburg: Königshausen & Neumann, 1994 |
| Einladung zur Verwandlung : Essays zu Elias Canettis “Masse und Macht” / hrsg.von Michael Krüger. – München: Hanser, 1995 |
| Canetti als Leser / Gerhard Neumann (Hg.). Freiburg als Breisgau: Rombach, 1996 |
| Scott, David, Metaphor as thought in Elias Canetti’s Masse und Macht. – Bern: Lang, 1999 |
| Critical essays on Elias Canetti / edited by David Darby. New York: G.K. Hall, 2000 |
| Donahue, William Collins, The end of Modernism : Elias Canetti’s Auto-da-fé. – Chapel Hill: University of North Carolina Press, 2001 |
| Canetti in Zürich : Erinnerungen und Gespräche / herausgegeben von Werner Morlang. München: Nagel und Kimche, 2005 |
| Elias Canetti : Bilder aus seinem Leben / hrsg. von Kristian Wachinger. – München: Hanser, 2005 |
| Hanuschek, Sven, Elias Canetti : Biographie. – München: Hanser, 2005 |
The Swedish Academy, 2006
Elias Canetti – Nobel Lecture
Elias Canetti did not deliver a Nobel Lecture.
The Nobel Prize in Literature 1981
Elias Canetti – Prose
English
German
Auftritt des Hexenmeisters
Wie sehr ich mich verändert hatte, erkannte ich an den Besuchen des Großvaters. Er kam erst nach Zürich, als er mich allein wußte. Die Spannung zwischen ihm und der Mutter war wohl gewachsen, einige Jahre ging er ihr aus dem Weg, aber sie schrieben sich regelmäßig. Während des Krieges bekam er Postkarten, auf denen ihm unsere neuen Adressen mitgeteilt wurden, später wechselten sie formelle und unpersönliche Briefe.
Kaum wußte er mich in der ›Yalta‹, erschien er in Zürich. Er stieg im Hotel ›Central‹ ab und bestellte mich zu sich. Seine Hotelzimmer, ob in Wien oder Zürich, sahen sich ähnlich, es herrschte in ihnen derselbe Geruch. Er war in Riemen verschnürt bei seinem Abendgebet, als ich kam, während er mich küßte und in Tränen badete, betete er weiter. Er wies auf eine Schublade, die ich statt seiner öffnen sollte, drin lag ein dickes Kuvert mit Briefmarken, die er für mich gesammelt hatte. Ich leerte es auf der niederen Kommode aus und musterte sie, manche hatte ich schon, manche hatte ich nicht, er folgte mit Argusaugen dem Mienenspiel auf meinem Gesicht, das ihm in rascher Abwechslung Freude oder Enttäuschung verriet. Da ich ihn in seinem Gebet nicht unterbrechen wollte, sagte ich nichts, das hielt er aber nicht aus und unterbrach selbst den feierlichen Ton seiner hebräischen Worte mit einem fragenden »Nu?« Ich gab einige unartikulierte, begeisterte Laute von mir, das befriedigte ihn und er betete weiter. Das dauerte ziemlich lange, alles war festgesetzt, er ließ nichts aus und verkürzte nichts, da es ohnehin in maximaler Geschwindigkeit vor sich, ging, ließ sich auch nichts beschleunigen. Dann war er fertig, er prüfte mich, ob ich die Länder wußte, aus denen die Briefmarken stammten, und überschüttete mich mit Lob für die richtige Auskunft. Das war, als ob ich noch in Wien und erst zehn Jahre alt wäre, es war mir so lästig wie seine Freudentränen, die schon wieder flossen. Er weinte, während er zu mir sprach, er war überwältigt davon, mich am Leben zu finden, seinen Namensenkel, wieder ein Stück größer, und vielleicht auch davon, daß er selbst noch da war, es zu erleben.
Sobald er mich zu Ende geprüft und sich ausgeweint hatte, führte er mich aus, in ein alkoholfreies Restaurant, wo ›Saaltöchter‹ bedienten. Für solche hatte er ein eifriges Auge, und es war ihm unmöglich, etwas zu bestellen, ohne ein umständliches Gespräch. Es begann damit, daß er auf mich zeigte und sagte: »Mein Enkeli!« Dann zählte er alle Sprachen auf, die er könne, es waren ihrer immer noch 17. Die Saaltochter, die zu tun hatte, hörte sich die Liste, in der Schweizerdeutsch nicht figurierte, ungeduldig an, sobald sie Anstalten machte zu verschwinden, legte er ihr beschwichtigend die Hand auf die Hüfte und ließ sie da liegen. Ich schämte mich für ihn, aber das Mädchen hielt still; als ich den Kopf, den ich gesenkt hatte, wieder hob, er war mit seinen Sprachen zu Ende, lag seine Hand noch an Ort und Stelle. Er nahm sie erst weg, wenn es ans Bestellen ging, das mußte er mit der Tochter beraten, dazu brauchte er beide Hände, nach einer längeren Prozedur bestellte er dann doch dasselbe wie immer, für sich einen Joghurt, für mich einen Kaffee. Während die Tochter fort war, redete ich auf ihn ein: das hier sei nicht Wien, in der Schweiz sei es anders, man könne sich nicht so benehmen, es könne ihm passieren, daß er von einer Saaltochter eine Ohrfeige bekomme. Er antwortete nichts, er meinte es besser zu wissen. Als die Tochter mit Joghurt und Kaffee zurückkam, lächelte sie ihn freundlich an, er dankte emphatisch, legte ihr nochmals die Hand auf die Hüfte und versprach beim nächsten Besuch in Zürich wiederzukommen. Ich beeilte mich mit dem Trinken, um nur rasch von hier fortzukommen, gegen jeden Augenschein davon überzeugt, daß er sie beleidigt habe.
Ich war unvorsichtig genug, ihm von der ›Yalta‹ zu erzählen, er bestand darauf, mich da zu besuchen, und kündigte sich an. Fräulein Mina war nicht zuhause, Fräulein Rosy empfing ihn. Sie führte ihn durch Haus und Garten, er war an allem interessiert und stellte unzählige Fragen. Bei jedem Obstbaum fragte er danach, wieviel er trage. Er fragte nach den Mädchen, die da wohnten, nach Namen, Herkunft und Alter. Er zählte sie zusammen, damals waren es neun, und meinte, daß mehr im Hause unterzubringen wären. Fräulein Rosy sagte, daß fast jede ein eigenes Zimmer habe, da wollte er die Zimmer sehen. Sie, von seiner Lustigkeit und seinen Fragen hingerissen, führte ihn ahnungslos in jedes der Zimmer. Die Mädchen waren in der Stadt oder in der Halle, Fräulein Rosy fand nichts dabei, ihm die leeren Schlafzimmer zu zeigen, die ich noch nie gesehen hatte. Er bewunderte die Aussicht und prüfte die Betten. Er schätzte jedes Zimmer nach seiner Größe ab und meinte, daß da leicht ein zweites Bett hineinginge. Er hatte sich die Herkunftsländer der Mädchen gemerkt und wollte wissen, wo die Französin, wo die Holländerin, wo die Brasilianerin und ganz besonders, wo die beiden Schwedinnen schliefen. Schließlich fragte er nach dem Spatzennest, dem Atelier von Fräulein Mina. Ich hatte ihn vorher gewarnt, er müsse sich die Bilder genau ansehen und manche müsse er loben. Das tat er nun auf seine Weise: wie ein Kenner blieb er erst in einiger Entfernung davor stehen, trat dann ganz nahe heran und besah sich genau die Malweise. Er schüttelte den Kopf über soviel Können und brach dann in begeisterte Superlative aus, wobei er die Schlauheit hatte, statt spanischer italienische Worte zu gebrauchen, die Fräulein Rosy verstand. Manche Blumen kannte er von seinem Garten zuhause, Tulpen, Nelken und Rosen, und bat, der Malerin seine Glückwünsche für ihr Können auszurichten: so etwas habe er noch nie gesehen, was auch stimmte, und ob sie auch Obstbäume und Früchte male? Er bedauerte, daß keine zu sehen waren, und riet inständig zu einer Erweiterung des Repertoires. Damit verblüffte er uns beide, weder Fräulein Rosy noch mir war der Gedanke je gekommen. Als er anfing, nach dem Wert der Bilder zu fragen, sah ich ihn streng, doch vergeblich an. Er ließ sich nicht beirren, Fräulein Rosy holte eine Liste von der letzten Ausstellung und unterrichtete ihn über die Preise. Da gab es manche, die zu mehreren hundert Franken verkauft worden waren, kleinere waren billiger gewesen, er ließ sich alle Preise der Reihe nach sagen, zählte sie auf der Stelle im Kopf zusammen und überraschte uns mit dem ansehnlichen Resultat, das wir beide gar nicht gekannt hatten. Dann fügte er noch großartig hinzu, daß es darauf nicht ankomme, es käme auf die Schönheit, »la hermosura« der Bilder an, und als Fräulein Rosy den Kopf schüttelte, weil sie das Wort nicht verstand, fiel er mir, bevor ich es übersetzt hatte, blitzschnell ins Wort und sagte italienisch: »la bellezza, la bellezza, la bellezza!«
Dann wollte er nochmals den Garten sehen, diesmal gründlicher. Auf dem Tennisplatz fragte er danach, wie groß der Grund sei, der zum Haus gehöre. Fräulein Rosy wurde verlegen, denn sie wußte es nicht: schon maß er den Tennisplatz mit Schritten ab, die Länge und die Breite, schon hatte er die Zahl seiner Quadratmeter berechnet, platzte damit heraus und überlegte ein wenig. Er verglich die Größe des Tennisplatzes mit der des Gartens, auch mit der der Wiese nebenan, machte ein pfiffiges Gesicht und sagte: so und so groß sei das Ganze. Fräulein Rosy war überwältigt, der Besuch, den ich so gefürchtet hatte, war ein Triumph. Für den frühen Abend nahm er mich zu einer Aufführung im Waldtheater überm Dolder mit. Als ich nach Hause kam, erwarteten mich die Damen in ihrem Zimmer. Fräulein Mina konnte sich nicht verzeihen, daß sie ausgewesen war, eine Stunde lang hörte ich das Lob des Großvaters singen. Sogar die Größe des Grundes hatte er richtig berechnet, ein wahrer Hexenmeister.
Elias Canetti: “Auftritt des Hexenmeister”s von Die gerettete Zunge.
Copyright © by Elias Canetti 1977,
by the heirs of Elias Canetti 1994.
Published by kind permission of Carl Hanser Verlag München Wien.
Excerpt selected by the Nobel Library of the Swedish Academy.
Elias Canetti – Banquet speech
Elias Canetti’s speech at the Nobel Banquet, December 10, 1981 (in German)
Eure Majestäten, Eure Königlichen Hoheiten, meine Damen und Herren,
Einer Stadt, die man kennt, verdankt man viel und einer, die man kennen möchte, wenn man sich lange vergeblich nach ihr sehnt, vielleicht noch mehr. Aber es gibt, glaube ich, im Leben eines Menschen auch besondere Stadtgottheiten, durch Drohung, Unermesslichkeit oder Verklärung ausgezeichnete Gebilde. Die drei, die es für mich waren, sind Wien, London und Zürich.
Man mag es dem Zufall zuschreiben, dass es diese drei sind, aber dieser Zufall heisst noch Europa, und soviel Europa vorzuwerfen wäre, – denn was ist nicht alles von ihm ausgegangen! – heute, da der Atemschatten, unter dem wir leben, schwer auf Europa lastet, zittern wir zuerst um Europa. Denn dieser Kontinent, dem sich soviel verdankt, trägt auch eine grosse Schuld und er braucht Zeit, um seine Sünden wiedergutzumachen. Wir wünschen ihm leidenschaftlich diese Zeit, eine Zeit, in der sich eine Wohltat nach der anderen über die Erde verbreiten konnte, eine Zeit, die so segensreich wäre, dass niemand auf der ganzen Welt Grund mehr hätte, den Namen Europas zu verfluchen.
Zu diesem verspäteten, zum eigentlichen Europa haben in meinem Leben vier Männer gehört, von denen ich mich nicht zu trennen vermag. Ihnen verdanke ich es, dass ich heute vor Ihnen stehe und ich möchte ihre Namen vor Ihnen nennen. Der Erste ist Karl Kraus, der grösste Satiriker der deutschen Sprache. Er hat mich das Hören gelehrt, die unbeirrbare Hingabe an die Laute Wiens. Er hat mich, was noch wichtiger war, gegen Krieg geimpft, eine Impfung, die damals für Viele noch notwendig war. Heute, seit Hiroshima, weiss jeder, was Krieg ist, und dass jeder es weiss, ist unsere einzige Hoffnung. – Der Zweite ist Franz Kafka, dem es gegeben war, sich ins Kleine zu verwandeln und sich so der Macht zu entziehen. In diese lebenslange Lehre, die die notwendigste von allen war, bin ich bei ihm gegangen. Den Dritten wie den Vierten, Robert Musil und Hermann Broch, habe ich in meiner Wiener Zeit gekannt. Robert Musils Werk fasziniert mich bis zum heutigen Tage, vielleicht bin ich erst seit den späten Jahren imstande, es ganz zu erfassen. Damals in Wien war erst ein Teil davon bekannt und was ich von ihm lernte, war das Schwerste: dass man ein Werk auf Jahrzehnte hin unternehmen kann, ohne zu wissen, ob es sich vollenden lässt, eine Waghalsigkeit, die hauptsächlich aus Geduld besteht, die eine beinahe unmenschliche Hartnäckigkeit voraussetzt. Mit Hermann Broch war ich befreundet. Ich glaube nicht, dass sein Werk mich beeinflusst hat, wohl aber erfuhr ich im Umgang mit ihm von jener Gabe, die ihn zu diesem Werk befähigt hat: diese Gabe war sein Atem-Gedächtnis. Ich habe seither über Atmen viel nachgedacht und die Beschäftigung damit hat mich getragen.
Es wäre unmöglich für mich, heute nicht an diese vier Männer zu denken. Wären sie noch am Leben, so stünde wohl einer von ihnen an meiner Stelle da. Betrachten Sie es nicht als Anmassung, wenn ich etwas ausspreche, worüber mir keine Entscheidung zukommt. Aber ich möchte Ihnen von Herzen danken und ich glaube, ich darf das nur, wenn ich zuvor meine Schuld an diese vier vor Ihnen öffentlich bekannt habe.
Elias Canetti – Prose
English
German
The Appearance of the Sorcerer
I could tell how much I had changed by my grandfather’s visits. He came to Zurich only when he knew I was alone. The tension between him and Mother must have grown; for several years he avoided her, but they corresponded regularly. During the war, he received postcards telling him our new addresses; later, they exchanged formal and impersonal letters.
No sooner did he know that I was at the Yalta than he showed up in Zurich. He got a room at the Hotel Central and asked me to come by. His hotel rooms, whether in Vienna or Zurich, all looked alike, the same smell prevailed in all of them. He was wrapped up in his phylacteries, reciting the evening prayers, when I arrived; while kissing me and bathed in tears, he continued praying. He pointed to a drawer, which I was to open in his stead; inside lay a thick envelope of stamps, which he had gathered for me. I emptied the envelope on the lower bureau and examined them, some I had, some I didn’t have, he kept a watchful eye on the expressions of my face, which revealed delight or disappointment to him in rapid alternation. Unwilling to interrupt his prayer, I said nothing, he couldn’t stand it and interrupted the solemn tone of his Hebrew words himself with an interrogative: “Well?” I emitted a few inarticulate, enthusiastic sounds; that satisfied him, and he went on with his prayers. They took a fairly long time, everything was established, he skipped nothing and shortened nothing; since it proceeded at maximum speed anyhow, nothing could be accelerated. Then he was done, he tested me to see whether I knew the countries from which the stamps came, and he showered me with praise for every right answer. It was as if I were still in Vienna and only ten years old, I found it as bothersome as his tears of joy, which were flowing again. He wept as he spoke to me, he was overwhelmed at finding me still alive, his grandson and namesake, grown a bit more, and perhaps he was also overwhelmed at being still alive himself and being able to have this experience.
As soon as he was done testing me and had wept himself out, he took me to a non-alcoholic restaurant, where “restaurant daughters” waited on tables. He had an eager eye for them and it was impossible for him to order anything without a detailed conversation. He began by pointing to me and saying: “My little grandson.” Then he totted up all the languages he knew, there were still seventeen. The “restaurant daughter,” who had things to do, listened impatiently to the tally, which didn’t include Swiss German; as soon as she tried to get away, he put a propitiating hand on her hip and let it lie there. I was embarrassed for him, but the girl stood still; when he was done with his languages and I raised my bowed head again, his hand was still in the same place. He took it away only when he started ordering, he had to confer with the “restaurant daughter,” which required both hands; after a long procedure, he wound up ordering the same as always, a yogurt for himself and coffee for me. When the waitress was gone, I tried talking to him: I said this wasn’t Vienna, Switzerland was different, he couldn’t act like that, some day a waitress might slap him. He didn’t answer, he felt he knew better. When the waitress returned with yogurt and coffee, she gave him a friendly smile, he thanked her emphatically, put his hand on her hip again, and promised to stop by on his next visit to Zurich. I wolfed down my coffee just to get away as fast as possible, convinced, all appearances notwithstanding, that he had insulted her.
I was incautious enough to tell him about the Yalta, he insisted on visiting me there and announced his coming. Fräulein Mina wasn’t at home, Fräulein Rosy received him. She took him through the house and the garden, he was interested in everything and asked countless questions. At every fruit tree, he asked how much it yielded. He asked about the girls who lived here, their names, backgrounds, and ages. He counted them up, there were nine, and he said that more could be put up in the house. Fräulein Rosy said that almost each one had her own room, and now he wanted to see the rooms. She, carried away by his cheeriness and his questions, innocently took him into each room. The girls were in town or in the hall, Fräulein Rosy saw nothing wrong with showing him the empty bedrooms, which I had never seen. He admired the view and tested the beds. He estimated the size of each room and felt that a second bed could easily be added. He had retained the countries of the girls and he wanted to know where the French girl, the Dutch girl, the Brazilian girl, and especially the two Swedish girls slept. Finally he asked about the sparrow’s nest, Fräulein Mina’s studio. I had forewarned him that he would have to look at the paintings very carefully and praise some of them. He did that in his way: like a connoisseur, he first halted at some distance from a picture, then approached it and attentively studied the brush strokes. He shook his head at so much expertise and then broke into enthusiastic superlatives, while having enough cunning to use Italian words, which Fräulein Rosy understood, instead of Ladino words. He knew some of the flowers from his garden at home, tulips, carnations, and roses, and he asked Fräulein Rosy to convey his congratulations to the painter on her expertise: he had never seen anything like it before, he said, which was true, and he asked whether she also painted fruit trees and fruit. He regretted that none were to be seen and he ardently recommended an expansion of her repertoire. He thus stunned both of us, neither Fräulein Rosy nor I had ever thought of it. When he began asking about the cost of the paintings, I glared at him, but futilely. He stuck to his guns, Fräulein Rosy drew out a list from the last exhibition and informed him of the prices. There were a few that had been sold for several hundred francs, smaller ones were less, he had her give him all the prices in a row, instantly added them up in his head, and surprised us with the handsome sum, which neither of us had known. Then he grandly threw in that it didn’t matter, the important thing was the beauty, la hermosura, of the paintings, and when Fräulein Rosy shook her head because she didn’t understand the word, he swiftly interrupted me before I could translate it and he said in Italian: “La bellezza, la bellezza, la bellezza!“.
Then he wanted to see the garden again, this time more thoroughly. In the tennis court, he asked how large the grounds belonging to the house were. Fräulein Rosy was embarrassed, for she didn’t know; he was already measuring the tennis court with his paces, the length and the width, he had already computed the number of square meters, blurted it out, and: reflected a bit. He compared the size of the tennis court with the size of the garden and also with the size of the adjacent meadow, made a shrewd face, and told us how big the lot was. Fräulein Rosy was overwhelmed, the visit, which I had so feared, was a triumph. For the early evening, he took me to a performance in the Waldtheater over the Dolder. When I came home, the ladies were waiting for me in their room. Fräulein Mima couldn’t forgive herself for being away, for an hour I heard them sing Grandfather’s praises. He had even figured out the size of the grounds correctly, a true sorcerer.
“The Appearance of the Sorcerer” by Elias Canetti from The Tongue Set Free.
Published in The Memoirs of Elias Canetti.
Copyright © 1999 by Farrar, Straus and Giroux, Inc.
Translation copyright ©1979 by The Continuum Publishing Corporation,
©1979 by Farrar, Straus and Giroux, Inc.
Excerpt selected by the Nobel Library of the Swedish Academy.
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Elias Canetti – Facts
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Swedish Academy
The Permanent Secretary
Press release
The Nobel Prize in Literature 1981
Elias Canetti
Born in 1905, in the port of Rustschuk on the lower Danube, Elias Canetti belongs to a Sephardic family whose members, in 1492, were driven out of the town of Canete, situated between Cuenca and Valencia. For several hundred years, the family lived in Turkey, but in the course of time, settled in Bulgaria. In 1911, Elias Canetti went to England with his parents; after his father’s sudden and premature death in 1913 – a catastrophe which has been of decisive importance to him – the family moved to Vienna. Between the years 1916 and 1924, Elias Canetti attended schools in Zürich and Frankfurt-am-Main. He then studied science in Vienna, the result being a doctorate in chemistry in 1929. Ever since then he has devoted himself exclusively to writing. In 1938 he went to France; sometime later, he moved over to London, which has remained his place of residence through the years.
When surveyed, Elias Canetti’s literary work may seem split up, comprising as it does of so many genres. His oeuvre consists of a novel, three plays, several volumes of notes and aphorisms, a profound examination of the origin, structures and effect of the mass movement, a travel book, portraits of authors, character studies, and memoirs; but these writings, pursued in such different directions, are held together by a most original and vigorously profiled personality.
The exiled and cosmopolitian author, Canetti has one native land, and that is the German language. He has never abandoned it, and he has often avowed his love of the highest manifestations of the classical German culture. He has warmly emphasized what Goethe, for instance, has meant to him as medicina mentis.
His foremost purely fictional achievement is the great novel, Die Blendung, (Auto da Fé ) published in 1935 and praised then by Thomas Mann and Hermann Broch. But it can be said to have attained its full effect during the last decades: against the background of national socialism’s brutal power politics, resulting in a world conflagration, the novel acquires a deepened perspective.
Die Blendung was part of an originally planned series of novels which was to take the shape of a “comédie humaine of the madmen”. The book has such fantastic and demoniacal elements that associations to Russian 19th century writers like Gogol and Dostoievsky – to whom, by the way, Canetti himself has declared he owes a debt of gratitude – are apparent. The main scene of the macabre and grotesque events that the novel discloses is an apartment house in Vienna. It is an aspect of key importance when Die Blendung is regarded by several critics as a single fundamental metaphor for the threat exercised by the “mass man” within ourselves. Close at hand is the viewpoint from which the novel stands out as a study of a type of man who isolates himself in self-sufficient specialization – here, the sinologist Peter Kien surrounded by his many books – only to succumb helplessly in a world of ruthlessly harsh realities.
Die Blendung leads over to the big examination of the origin, composition and reaction patterns of the mass movements which Canetti, after decades of research and study, published with Masse und Macht (Crowds and Power, 1960). It is a magisterial work by a polyhistor who knows how to reveal an overwhelmingly large number of viewpoints of men’s behaviour as mass beings. By going in particular to the primitive peoples, their myths and fairytales, Canetti tries to pinpoint the character of the mass movements. In his field of research he introduces not only the actual masses but also the imaginary ones: the masses of “the spirits”, “the angels” and “the devils”, which are such important elements in many religions. He explores the nature and significance of the national mass symbols; with acumen he illustrates the psychological problems of commands and obedience. Like Gustave Le Bon, he sees the archaic components in the mass movements of the new age. In his basically ahistorical analysis, what he wants to expose and attack by scrutinizing the origin and nature of the mass is, in the end, the religion of power. According to Canetti, deep down behind every command, every exercise of power, is the threat of death. Survival itself becomes the nucleus of power. At the last, the mortal enemy is death itself: this is a principal theme, held to with an oddly pathetic strength, in Elias Canetti’s literary works.
Apart from the intensive work on Masse und Macht, Canetti has written strongly concentrated, aphoristic notes, issued in several volumes. They usually emanate from concrete situations which can be regarded as metaphors for something generic. A satirical bite in the observations of people’s behaviour, a loathing of wars and devastation, bitterness at the thought of life’s brevity are characteristic features of the continuous notes. By virtue of his abundant wit and stylistic pithiness, Canetti stands out as one of the foremost aphorists of our time, a man who, in his phrasing of life’s ironies, is sometimes reminiscent of great predecessors like La Bruyère and Lichtenberg.
The plays Canetti has written are all of a more or less absurd kind: Hochzeit (Wedding), 1932, Komödie der Eitelkeit (The Comedy of Vanity), 1950, Die Befristeten (The Deadlined), 1956. In their portrayal of extreme situations, often depicting human vulgarity, these “acoustic masks”, as Canetti calls the plays, are of decided interest.
With Die Stimmen von Marrakesch (The Voices of Marrakesh ), 1967, Canetti published a travel book which shows his keen eye for life in the poor outskirts of existence; with Der Ohrenzeuge (Earwitness) , 1974, he presented a collection of “characters” in the spirit of Theophrastus. Among his literary portrait studies, special mention can be made of Der andere Prozess (Kafka’s Other Trial) , 1969, in which, with intense involvement, he examines Kafka’s complicated relationship to Felice Bauer. The study forms itself into a picture of a man whose life and work meant the relinquishing of power.
Finally, standing out as a peak in Elias Canetti’s writings are his memoirs, so far in two large volumes: Die gerettete Zunge (The Tongue Set Free), 1977, and Die Fackel im Ohr (The Torch in the Ear), 1980. In these recollections of his childhood and youth, he reveals his vigorous epic power of description to its full extent. A great deal of the political and cultural life in Central Europe in the early 1900s – especially the form it took in Vienna – is reflected in the memoirs. The peculiar environments, the many remarkable human destinies with which Canetti was confronted, and his unique educational path – always aiming at universal knowledge – are seen here in a style and with a lucidity that have very few qualitative equivalents in the memoirs written in the German language this century.